Neue Horizonte für die Seelsorge

Freikirche NCC in Washington

Lernen von gesunden und wachsenden Pfarren und kirchlichen Initiativen: Das war das Ziel eines Innovations-Seminars, verbunden mit einer Reise in die US-Hauptstadt Washington und nach Baltimore.

„Hallo, ich bin Tony, willkommen!“ Nach der freundlichen Begrüßung durch den Sitznachbarn beginnt der Gitarrist mit einem stimmungsvollen Loblied, und Pfarrer Michael White zieht mit den Ministranten ein. Es ist Sonntag, und die Pfarrkirche „Geburt Christi“ in der US-amerikanischen Stadt Baltimore ist gesteckt voll. Viele junge Familien sind da. Vor der Lesung strömen dutzende Kinder zur linken, vorderen Tür: Für sie beginnt unter dem Titel „Zeitreise“ der Wortgottesdienst für Kinder.

Lernen von den Besten
„Vor 15 Jahren lief es in dieser Pfarre ziemlich schlecht, heute blüht sie auf, und viele Kirchenferne haben neu zum Glauben gefunden“, erzählt Georg Plank, der mehrere innovative, kirchliche Orte in Washington und Umgebung ausgekundschaftet hat. Der Theologe und ehemalige Pressesprecher von Bischof Kapellari gründete 2014 „Pastoralinnovation“ und begleitete von 13. bis 22. Februar eine fünfköpfige Gruppe in die USA. In dieser Woche besuchten sie mehrere Pfarren, das kirchliche Sozialforschungsinstitut CARA und die Freikirche NCC.

Ein Mitarbeiter der örtlichen Bischofskonferenz stellte das kirchliche Engagement für Asylsuchende und Migranten vor, an der „Katholischen Universität von Amerika“ diskutierte die österreichische Gruppe mit jungen Wissenschaftern. „In den USA habe ich einige wegweisende Modelle entdeckt“, erläutert Initiator Plank, „Mir geht es um gemeinsame Lernprozesse: Erleben, Nachdenken und Umsetzen.“

Kinder motivieren Eltern
In die „Geburt Christi“-Pfarre kommen Kinder gerne. „Ich weiß von einigen, dass sie ihre Eltern anbetteln hierher zu kommen“, erzählt Meghan sichtlich stolz, „wir nennen es ‚Zeitreise‘, weil wir in die Zeit Jesu zurückreisen.“ Die dreifache Mutter leitet den Kindergottesdienst, mehrere jugendliche Helfer unterstützen sie. Im Theatersaal begrüßt Meghan die Kinder, die Neuen sogar namentlich. Darauf folgen ein schwungvolles Lied und ein Gebet. Die Bibelstelle – an diesem Sonntag heilt Jesus einen Leprakranken – spielen zwei Kinder vor. Meghan spricht die Thematik „Gruppenzwang“ an und fragt, was die Kinder schon erlebt haben. 30 Minuten vergehen wie im Flug, die Kinder singen noch lautstark „Tag für Tag“ und sausen wieder in die Kirche zur Eucharistie.

Weg der Erneuerung
Viele Messbesucher, viele Helfer, viele Kinder: 2004 starteten Pfarrer Michael White und Pastoralassistent Tom Corcoran einen Erneuerungsprozess, den sie im Buch „Rebuilt“ dokumentierten. Ganz offen sprechen sie über die schweren, ersten Schritte und ihre Fehler: „Wir sind weiterhin auf dem Weg und bleiben Lernende.“ Beim Forum „PnXten“ (25. bis 27.5.2015 in St. Georgen am Längsee) ist Pfarrer White als Hauptredner eingeladen und wird den Innovations- und Lernprozess dieser lebendigen Pfarre schildern. Für Hildegard Wustmans, Pastoraltheologin in Linz und Teilnehmerin der Reise, gehören zu innovativen Projekten drei Säulen: „In Beziehung treten mit Menschen, mit ihnen Glauben feiern und in sozialen Aktionen umsetzen.“

Genau das versucht das Pfarrteam von „Geburt Christi“. „Für uns ist der Sonntag zentral“, erzählt Tom Corcoran. Die Musik soll zum Gebet verhelfen, die Predigt ein Impuls für die Woche sein, und Gemeinschaft spürbar werden. Nach der Messe ist das pfarreigene Café ein beliebter Treffpunkt, während der Woche treffen sich viele in Kleingruppen. Einige sind für Jugendliche, andere für junge Mütter, andere bunt durchmischt. „Das gemeinsame Beten und der Austausch in vertrauter Atmosphäre machen die Kleingruppen aus“, so Corcoran. Der Pastoralassistent weiter: „Sie sind das Herz unserer Pfarre, hier passiert Vertiefung.“ Die dritte Säule ist das Engagement. Jeden Sonntag helfen knapp 100 Menschen in der Pfarre mit. Unter der Woche werden Einsätze in lokale Sozialprojekte wie Obdachlosenzentren oder Altersheime organisiert, im Sommer fahren Gruppen auf Missionseinsätze nach Haiti oder Nigeria.

11,5 Millionen illegale Einwanderer
In viele Pfarren kommen Menschen, die ohne Ausweisdokumente sind. Franziskanerpater Jacek weiß, dass viele in ihrer Einwanderer-Gemeinde in Silver Spring keine Aufenthaltsbewilligung haben. Zur Lebensmittelausgabe jeden Mittwoch kommen über 200 Menschen, die meisten leben arm in kleinen Wohnungen. „Aus Zentralamerika sind viele da, ich habe schlimme Geschichten gehört“, erzählt Pater Jacek, „wir können nur die Not ein bisschen lindern.“

Die Katholische Kirche in den USA engagiert sich sehr im Bereich der Flüchtlingshilfe. Einerseits auf Pfarrebene direkt mit den Menschen, andererseits auf politischer Ebene durch die Bischofskonferenz. Laut Schätzungen leben 11,5 Millionen Menschen illegal in den USA. Todd Scribner, der für die Bischofskonferenz politische Anwaltschaft wahrnimmt, erzählt von zähen Verhandlungen an einer Immigrationsreform: „Für viele hat die nationale Sicherheit höhere Priorität.“ Die Kirche werde sich weiterhin auf politischer und lokaler Ebene für Flüchtlinge einsetzen: „Nicht weil die Flüchtlinge Christen sind, sondern weil wir Christen sind.“

Beten im Kino
Am Samstag besuchte die Seminargruppe einen Gottesdienst in der freikirchlichen
Gemeinde „National Community Church“ (NCC), eine kleine Kirche mit sieben Standorten. Sie feiern ihre Gottesdienste nicht in Gotteshäusern, denn sie besitzen gar keine. Die NCC trifft sich in Theater- und Kinosälen. „Das sind bekannte Orte für die Menschen, hier fühlen sie sich schnell wohl“, ndet Pastor Joshua eine ganz einfache Begründung. Trotz Schneechaos ist der Theatersaal am frühen Samstagabend gut gefüllt. Vor allem junge Erwachsene sind da und singen bei den Lobpreisliedern kräftig mit. 75 Minuten dauert der Gottesdienst mit gutem Musikprogramm, einer Predigt mit Humor und freiem Gebet. „Es ist ein moderner Wortgottesdienst mit ansprechenden Liedern. Das wäre auch bei uns machbar“, stellt Pfarrer Norbert Filipitsch fest. Dass so viele junge Menschen kommen, beeindruckt ihn.

Lernen und umsetzen
„An allen Orten waren Personen, die ihre Fähigkeit zur Führung wahrnehmen“, beobachtet Pastoraltheologin Wustmans. Für unabdingbar hält sie eine Kultur des Miteinanders und der Fehlerfreundlichkeit, nur dann seien Menschen bereit Neues zu wagen. Initiator Georg Plank zieht zufrieden Bilanz: „Der Lern- und Umsetzungsprozess hat bei allen Teilnehmern schon begonnen.“

(Erschienen am 8. März 2015 im „martinus“)