Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
In den Priscilla-Katakomben in Rom findet man gleich beim Eingang ein Fresko, auf dem ein Hirte dargestellt ist. Das ist die älteste Darstellung Jesu, die bis heute erhalten ist, und wurde in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts gemalt. Jesus ist nicht – wie meist heute – am Kreuz dargestellt, sondern als junger Römer, mit einer weißen Tunika bekleidet und mit einem Lamm über den Schultern: Jesus als Hirte! Er hat eine Hirtentasche umgehängt, die rechte Hand ist geöffnet mit einer einladenden Geste. Er geht ruhigen Schrittes auf einer grünen Wiese und ist umgeben von Tieren und Pflanzen. Das Tier auf den Schultern ist gerne und freiwillig dort; der Hirte hält es gar nicht fest. Dieses Bild vom „Guten Hirten“ ist die älteste Christusdarstellung, die uns überliefert ist. Genau diese Darstellung hängt in meinem Büro und ich werfe immer wieder einen Blick drauf. Was will uns diese Darstellung vom „Guten Hirten“ sagen, von dem wir gerade im Evangelium gehört haben?
Hirte sein in der Zeit Jesu war sicher kein romantischer Beruf: Ein Hirte musste in der unwegsamen Wüste einen Weg finden. Er musste wissen, wo Wasserquellen und Weiden sind. Er musste die Herde vor Raubtieren verteidigen und dabei auch sein Leben riskieren.
In bestimmten Momenten im Leben, wenn viel Unsicherheit und Angst da ist, sehnen wir uns nach so einem sicheren Platz, wie das Schaf auf den Schultern des „Guten Hirten“:
- Wir wünschen uns, dass jemand in unwegsamen Situationen des Lebens Auswege weiß und gangbare Pfade kennt.
- Wir sehnen uns nach jemand, der Quellen der Kraft und Hoffnung bereithält, die wie Wasser in der Wüste neues Leben ermöglichen.
- Wir wünschen uns jemand, der in bedrängenden Situationen beschützt und Drohendes abwendet.
Genau diese drei Dinge – Weg, Stärkung und Schutz – will der „Gute Hirt“, von dem Jesus in der „Ich“-Form spricht, uns anbieten. Was kann das für unseren Alltag bedeuten?
(1) Weg: Dem Weg Jesu zu folgen, heißt auf seine Stimme zu hören, zum Beispiel im gemeinsamen Hinhören im Gottesdienst oder wenn ich daheim immer wieder einen kleinen Abschnitt aus der Bibel lese. Gott spricht durch die Heilige Schrift zu uns.
(2) Stärkung: Die Hektik des Alltags kann uns Energie rauben und wir brauchen alle Tankstellen, die uns neue Kraft schenken. Das können wohltuende Unterbrechungen sein, zum Beispiel durch Musik, gemeinsames Rosenkranzgebet oder ein Kerzlein anzünden in der Kirche oder daheim.
(3) Schutz: Unser Leben ist in Gottes Hand geborgen und uns ist ein Leben über den Tod hinaus zugesagt. Mit dem „Guten Hirten“ an unserer Seite verliert die Angst ihre Macht, auch wenn das Leben bedroht ist.
Jesus sagt: „Ich bin der gute Hirte; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ (Johannes 10,14) Das hat er nicht nur zu seinen Zuhörern damals gesagt, sondern auch in uns möge diese tragende Lebensgewissheit wachsen. Der Herr ist mein Hirte; er ist mir Weg, Stärkung und Schutz; nichts wird mir fehlen (vgl. Psalm 23).
Ich habe noch etwas mitgebracht. Ich trage immer gut sichtbar mein Professkreuz, das ich bei meinem ewigen Versprechen als Salesianer Don Boscos erhalten habe. Das Interessante ist, dass auf diesem Kreuz genau die Gute-Hirten-Darstellung aus den Katakomben dargestellt ist, von der ich eingangs gesprochen habe. Don Bosco war ein guter Hirte für die Jugend seiner Zeit und auch wir Salesianer wollen so leben.
Unsere Zeit braucht jeden von uns als guter Hirte, als gute Hirtin für andere Menschen. Vertrauen wir uns selbst immer wieder Jesus an, dem wahren „Guten Hirten“. Lasst uns da sein für Menschen, die in den „Wüsten dieser Welt“ zu verdursten drohen. Begleiten wir sie zu „Quellen des Lebens“. Amen.
(25.4.2021, Pfarrkirche Telfes im Stubaital, 4. Sonntag der Osterzeit B, verwendete Stelle aus der Heiligen Schrift: Johannes 10,11-18)