Pfarre 2.0: Einen Sonntag mittendrin

Ein Sonntag mittendrin in der Nativity-Pfarre

Kirchenferne und Kinder kommen gerne in die Pfarre „Of the Nativity“ in Baltimore/USA: Warum das so ist und was diese Pfarre 2.0 noch zu bieten hat, erzählt eine Reportage von Peter Rinderer SDB.

Es ist Sonntag, ein sonniger Wintertag, 10.20 Uhr: Tony schließt das Auto per Fernsteuerung und stapft über den mit Schnee angezuckerten Weg zum Kircheneingang, seine Frau und die beiden Söhne sind vor ihm. „Good morning“, tauscht er im Vorraum mit einem Mann und zwei Frauen aus, die heute das Willkommens-Team bilden. Sie kennen sich, denn Tony und seine Familie kommen jeden Sonntag in die Pfarre „Of the Nativity“ am Stadtrand von Baltimore.

Unter der Woche arbeitet der Mittvierziger in einem Handelsunternehmen, der Messbesuch gehört für ihn zu einem „richtigen Sonntag“ dazu: „Hier in ‚Nativity‘ sind der Gottesdienst und die Gemeinschaft einfach schön, seit 15 Jahren sind wir am Sonntag hier.“

Predigt über Sex

Licht an für die Musiker: Der Gitarrist und seine Band beginnen mit „Lord in the highest“ und Father Michael White zieht mit den Ministranten ein. Tony und seine Familie stehen auf, es geht los. Links und rechts vom Altar sind große Videowalls, die Detailaufnahmen liefern und die Liedtexte einblenden. Zusätzlich wird der Gottesdienst im Internet-Livestream übertragen. Die Spots schwenken zu Father Michael und er beginnt mit dem Kreuzzeichen.

Die Pfarrkirche ist proppenvoll, circa 800 Leute passen in das Gotteshaus. Auffallend ist, dass viele junge Familien da sind. „Halleluja, halleluja“ erklingt es stimmgewaltig im Kirchenraum, unterstützt von Bassklängen und einer sanften Keyboard-Melodie. Nach dem Evangelium – Jesus heilt einen Lepra-Kranken – beginnt Father Michael die Predigt. Heute geht es um Sex.

In der „Nativity“-Pfarre gibt es mehrwöchige Lehrserien, heute ist der vierte und letzte Teil. Als der Pfarrer von seinem Football spielenden Freund erzählt, lacht die Gemeinde auf. „Über Sex spricht die Kirche oft nicht in einer hilfreichen Weise“, gibt Father Michael zu, „Sex ist ein göttlicher Plan“. Er fährt fort und fragt: „Safer Sex ist sicher für den Körper, doch vielleicht ist er unsicher für die Seele.“ Tony gefallen die Predigten von Father Michael: „Er ist kein Traditioneller, bei ihm geht es immer um das alltägliche Leben.“

Rocksound und Choral

„Agnus Dei, qui tollis“, erklingt es kurz vor der Kommunion. Die Band ist vielseitig, neben Lobpreisliedern mit rockigem Gitarrensound singen sie auch gregorianischen Choral. Am Ende der Feier stellen sich die zwei hauptamtlichen Mitarbeiter Chris und Kristin auf die Stufen neben den Altar und informieren über die Aktivitäten der nächsten Woche. In der Fastenzeit organisiert die Pfarre ein 40-stündiges Gebet und viele Pfarrgruppen übernehmen Stunden: „Es ist Teil unseres ‚Vision‘-Prozesses. Bitte helft alle mit!“

Punktgenau eine Stunde, die Messe ist vorbei. Tony geht mit seiner Familie ins Pfarrcafé und gönnt sich eine Torte. Er erzählt, dass sie in dieser Pfarrgemeinde sehr verwurzelt sind und sich wohl fühlen. „Hier ist viel los und jeder ist willkommen“, erzählt Tony. Die Pfarre tue viel für sozial Benachteiligte durch Einsätze in Obdachlosenzentren oder Altersheimen. „Ich kann zwar nicht regelmäßig“, doch die Organisation über die Pfarre laufe gut und er könne sich auch nur einmal im Monat melden.

Zeitreise zu Jesus

Tony erzählt, dass er drei Kinder hat: „Die Tochter ist jetzt nicht da, weil sie hinten im Theatersaal bei ‚Time Traveler‘ mitarbeitet.“ „Time Traveler“ ist der Wortgottesdienst für Kinder, der bei allen drei Vormittagsgottesdiensten am Sonntag angeboten wird. „Die Idee ist, dass die Kinder in die Zeit Jesu zurückreisen.“ Von der Lesung bis zur Gabenbereitung sind die Kinder im Volksschulalter im Theatersaal. Meghan, eine dreifache Mutter, leitet das Kinderprogramm mit jugendlichen Helferinnen und Helfern.

Im Theatersaal begrüßt Meghan die Kinder, die Neuen sogar namentlich. Darauf folgen ein schwungvolles Lied und ein Gebet. Die Bibelstelle von Jesus und dem Leprakranken spielen zwei Kinder vor. Meghan spricht die Thematik „Gruppenzwang“ an und fragt, was die Kinder schon erlebt haben. 30 Minuten vergehen wie im Flug, die Kinder singen noch lautstark „Every day“ und sausen wieder in die Kirche zur Eucharistie.

Tragfähige Beziehungen

„Ich bin in einer Kleingruppe“, sagt Tonys Frau, „wir treffen uns immer am Sonntagabend und das tut mir wirklich gut.“ Es gebe viele Kleingruppen in der Pfarre und in den Predigten werde immer wieder eingeladen, in eine Gruppe zu gehen. „In der Kleingruppe stützen wir uns gegenseitig. Einmal ist es einer Frau privat nicht sehr schlecht gegangen, und wir haben versucht sie zu unterstützen, wo es nur geht“, erzählt sie weiter.

Es ist 13 Uhr: Tony und seine Familie haben mehrere Stunden in der Pfarre „Of the Nativity“ verbracht. Auch die Tochter ist zu ihnen gestoßen und fährt mit der ganzen Familie nach Hause. Auf alle wartet eine arbeitsreiche Woche. Sie verabschieden sich: „Bis zum nächsten Sonntag!“

(Erschienen am 12. März 2015 auf katholisch.at)