„Ich möchte sehen können“

commons.wikimedia.org-Fritz Jörn (CC BY-SA 3.0)

Liebe Freunde!
Wir haben gerade die Bibelstelle gehört, in der der Blinde Bartimäus Jesus um Hilfe anfleht. Er lässt sich dabei von nichts und niemandem abbringen. Wir alle haben das Glück sehen zu können. Beim Bibelteilen vor der Messe hat eine Studentin von einer Begegnung mit einem Blinden erzählt. Sie bemerkte länger nicht, dass dieser Mann blind ist. Erst als sie ihm in einem Restaurant die Speisekarte gab, hat er es ihr gesagt. Ansonsten fährt er als Blinder mit dem Fahrrad durch Wien und erkennt Bekleidungsfarben an der Rauheit des Stoffes.

Es ist beeindruckend, wie sensibel Blinde beim Hören, Riechen und Tasten sind. Bei uns Sehenden stumpfen diese Sinne sogar ab. Zugleich passiert es, dass wir beim Sehen manchmal ziemlich selbstsicher, manchmal zu wenig offen für Neues sind oder zu schnell urteilen. Was können wir aus der Begegnung Jesu mit dem Blinden Bartimäus für unseren Alltag mitnehmen?

Ich kann mit meinen Augen sehen und gleichzeitig muss ich es immer wieder neu einüben. Spannend ist es, in der Bibel auf die Haltungen und Handlungen Jesu zu schauen. Eine einfache Möglichkeit ist, die „Tunwörter“ anzuschauen. Sie drücken Aktion aus und zeigen, wie Jesus vorgeht. In dieser Bibelstelle sind es genau drei Dinge: Jesus bleibt stehen, Jesus fragt und Jesus handelt.

(1) Stehen bleiben: „Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her!“ (Vers 49) Manchmal bin ich so in meinen Gedanken versunken und nehme nur flüchtig etwas wahr. Jesus bleibt bewusst stehen, er nimmt sich Zeit und ist offen für Neues.

(2) Fragen: „Jesus fragte ihn: Was willst du?“ (Vers 51) Es passiert, dass ich schon zu wissen meine, was der andere braucht, was gut für ihn ist. Doch das ist nicht richtig! Jeder Mensch ist einzigartig und hat eigene Bedürfnisse. Jesus fragt, um herauszufinden, was sein Gesprächspartner sich wünscht. Jesus ist ein Lernender und will den anderen verstehen.

(3) Handeln: „Da sagte Jesus: Geh! […] Im gleichen Augenblick konnte er sehen.“ (Vers 52) Das Risiko besteht, vorschnell zu handeln und die zwei vorherigen Schritte zu überspringen. Dann bereue ich es im Nachhinein. Jesus macht diese drei Schritte. Er bleibt stehen, er fragt, erst dann handelt er. Dieses Sehen bleibt nicht an der Oberfläche, sondern schaut in die Tiefe.

Interessant ist bei dieser Bibelstelle, wie sich die Menschenmenge um Jesus verhält, und zwar ziemlich paradox. Zuerst befehlen die Menschen dem Bettler zu schweigen, später machen sie ihm Mut aufzustehen. Wir bekommen in unserem Alltag viele widersprüchliche Zurufe von unserem Umfeld. Da ist es gut, auf das eigene Herz zu hören und nicht jedem scheinbar gut gemeinten Zuruf zu folgen. Der Blinde Bartimäus zeigt, was es heißt, voll Mut dem eigenen Herzen zu folgen und das zu tun, was ihm persönlich wichtig ist: „Er sprang auf und lief auf Jesus zu.“ (Vers 50) Amen.

(30. Sonntag im Jahreskreis B, 28.10.2018, verwendete Stelle aus der Heiligen Schrift: Markus 10, 46-52, gehalten bei der Jugendmesse „Mit Don Bosco Sonntag feiern“, Bild: commons.wikimedia.org-Fritz Jörn)