Liebe verbindet: In Österreich steigt die Zahl christlich-muslimischer Ehepaare. Ein Abenteuer voller Chancen und Herausforderungen.
Martin Rupprecht ist Pfarrer in Wien und spricht fließend Türkisch. Er wird für viele christlich-muslimische Hochzeiten angefragt und begleitet die Familien seelsorglich. Das Gespräch führte Peter Rinderer.
Sie beraten viele christlich-muslimische Paare. Was sagen Sie ihnen?
Martin Rupprecht: Herzlichen Glückwunsch! Auf keinen Fall: Wir haben ein Problem. Wenn zwei junge Menschen sich finden, dann hat der liebe Gott das so geschaffen. Im Gespräch ergibt sich, welcher Hintergrund da ist und was die Herausforderungen sind. Bei vielen, die in Österreich zusammenkommen und sich schon jahrelang kennen, geht es oft nur um die konkrete Durchführung einer religiösen Trauung. Die Hauptfrage insgesamt ist, wie es mit den gemeinsamen Kindern gehen wird.
Muss die Frage der Kindererziehung schon vor der Hochzeit geklärt werden?
Rupprecht: Ich rate dazu. In interreligiösen Partnerschaften gibt es mehr im Voraus zu klären. Ich gebe den Leuten einen kleinen Fragenkatalog mit und sage: „Sprecht darüber.“ Wie wird die Kindererziehung aussehen? Soll das Kind getauft oder beschnitten werden? Ist eine Segnung vorgesehen? In welchen Religionsunterricht soll das Kind gehen? Klare Entscheidungen sind erforderlich, wenngleich der religiöse Aspekt im praktischen Leben nur ein Teilbereich ist. Einfaches Beispiel: Ist es uns recht, wenn das Kind bei den Großeltern im Weinviertel eine Wurstsemmel bekommt?
Können sie am Beispiel einer Familie erzählen, wie der Alltag konkret aussieht?
Rupprecht: Fast alle Paare feiern christliche und muslimische Feiertage. Es gibt Paare, bei denen der muslimische Part die Religion mehr praktiziert und der Ramadan wird eingehalten. In anderen Familien geht der katholische Part jeden Sonntag mit dem Kind in die Kirche und für den muslimischen Partner ist das in Ordnung. Das ist sehr individuell. Der eine macht ein Kreuzzeichen, der andere liest die Koransure „Gott darf nichts beigesellt werden“. Obwohl aus religionstheoretischer Sicht eine solche Verbindung nicht möglich ist, gibt es das in der Praxis. Wir wollen die Menschen seelsorglich begleiten. Dabei ist mir ist die spirituelle Dimension wichtig. Im Gebet wird spürbar, dass wir im Letzten als einzelne Geschöpfe vor Gott stehen und ihm Dank schulden. Wir wollen glücklich sein, in der Liebe wachsen und unser Dasein auf Gott hin ausrichten. Ich kenne viele christlich-muslimische Paare, die spirituell in ihrem eigenen Weg so zusammenwachsen, dass sie sich Gott, quasi der Sonne, nähern.
Der Islam sagt, die gemeinsamen Kinder müssen im Islam erzogen werden, die Katholische Kirche gibt das auch vor.
Rupprecht: In der Theorie ist das eine Pattstellung, aber das Problem hat der liebe Gott gemacht. Er hat Mann und Frau so geschaffen und die Liebe als stärkste Kraft geschenkt. Die Katholische Kirche hat die Pattsituation durch einen Passus im Trauungsprotokoll gelöst. Dort steht: „Ich verspreche meine Kinder im katholischen Glauben zu erziehen, soweit das in meiner Ehe möglich ist.“ Zur Kindererziehung heißt es: „Sind Sie bereit, Ihre Kinder im Glauben an Gott zu erziehen, wie es Pflicht eines gläubigen Vaters und einer gläubigen Mutter ist?“ Hier wird Bezug auf das Naturrecht genommen: Der Mensch ist als Mensch verpflichtet, den Glauben an seinen Schöpfer den Kindern weiterzugeben. Da haben wir eine gemeinsame Basis mit dem Islam.
Lassen manche Paare die Religion des Kindes offen und überlassen die Entscheidung dem Kind?
Rupprecht: Seit 15 Jahren organisieren wir regelmäßige Treffen christlich-muslimischer Paare und es hat sich eine Tradition gebildet. Einige Paare wollten dem Kind die Wahl der Religion überlassen. Wir entwickelten anstelle der Taufe eine Segensfeier in der Kirche, an der auch der Imam teilnimmt. Das gibt den Großeltern Sicherheit, denn sie wollen nicht, dass ihr Enkel in einem religionsfreien Raum aufwächst. Durch die Feier wird für alle Beteiligten die Frage des Glaubens bewusst thematisiert. Aus diesen Erfahrungen habe ich ein Modell der religiösen Kinderentwicklung konzipiert.
Wie sieht das aus?
Rupprecht: Menschen brauchen Bilder, die ihnen Orientierung und Sicherheit geben. Ich habe die Hagia Sophia gewählt. Das Fundament des Hauses ist die Entwicklung von Urvertrauen, Wärme und Sicherheit. Darauf stehen die Säulen der christlichen und islamischen Identität des jeweiligen Partners, verbunden durch ein starkes Band der Liebe. Im Raum dazwischen hält sich das Kind auf. Darüber breitet sich das schützende Dach der Großfamilie und der Sozialisation aus, das manchmal zur drückenden Last werden kann. Dann braucht es wie bei der Hagia Sophia Stützpfeiler, damit das Band der Liebe nicht zerreißt. Die beiden Ehepartner brauchen Tapferkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und Mäßigung, um das Haus zusammenzuhalten.
Wie läuft die religiöse Feier einer christlich-muslimischen Hochzeit ab?
Rupprecht: Im katholischen Messbuch gibt es einen Ablauf für Trauungen eines Katholiken mit einem Partner, der an Gott glaubt, aber nicht Christ ist. Im Islam ist die Trauung sozusagen ein Privatvertrag zwischen Mann und Frau, im katholischen Verständnis eine religiöse Zeremonie. Wir machen oft einen Wortgottesdienst mit einem kurzen, islamischen Trauungsteil. Manche Paare bevorzugen statt der Kirche einen neutralen Raum, zum Beispiel den Meditationsraum eines Bildungshauses.
Nach islamischem Recht darf ein Muslim eine Christin heiraten, ein Christ aber keine Muslimin. Warum?
Rupprecht: Ich kenne nur zwei Imame weltweit, einen in Deutschland und einen in Südafrika, die dieses Gebot erweitern und sagen, auch eine muslimische Frau könne einen Christen heiraten. Nach dem Koran ist einer Muslim, der einen muslimischen Vater hat. Es geht um die Sicherung der Glaubensweitergabe, doch heutzutage in Österreich kann man nicht automatisch von einer Weitergabe durch den Vater sprechen. Es muss eine partnerschaftliche Entscheidung sein, sagt zum Beispiel die türkische Religionspädagogin Beyza Bilgin.
Gibt es bei interkonfessionellen Ehen ähnliche Herausforderungen?
Rupprecht: Es ist sicher einfacher. Im Epheserbrief heißt es: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“. Vor 50 Jahren waren katholisch-protestantische Ehen vielleicht so problembehaftet, wie manche christlich-muslimische heute. Konversion oder es ging nicht, basta. Heute haben wir neue Erfahrungen.
Was können christlich-muslimische Ehen für den gesellschaftlichen Dialog der Religionen leisten?
Rupprecht: Beruflich und privat treffen sie viele Leute und stehen für den Dialog. Problematisch sind die Erwartungen von außen. Jeder will wissen: Geht es? Wenn nicht, ist es für viele eine Bestätigung, dass es zwischen Christen und Muslimen nicht funktioniert. Ich kenne die Geschichte einer katholischen Krankenschwester aus Deutschland, die mit einem türkischen Arzt verheiratet ist und in Ankara lebt. Eines Tages kommt das Kind von der Schule nach Hause: „Wir haben die Grundlagen des Islam kennengelernt. Gibt es das auch im Christentum?“ Die Mutter antwortet: „Ja, ganz einfach. Du sollst Gott und alle Menschen gern haben und lieben.“ Das Kind geht ins Zimmer und kommt eine halbe Stunde später zurück: „Mama, muss ich wirklich alle Menschen gern haben?“ Wenn nicht in der Ehe diese Brücke gelingt, wie soll es dann in der Welt möglich sein? Diese Paare sind Zeugen eines gelingenden Dialogs und Botschafter eines möglichen Miteinanders.
(Erschienen am 30. April 2015 in “Die Furche”, Foto: Flickr/Daniel Peckham, CC BY 2.0)