Vater unser – von der anderen Seite

Jugendvigil Heiligenkreuz, Februar 2019

Liebe junge Freunde!
Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke, dann habe ich damals öfters Auto gestoppt, um nach der Schule nach Hause zu kommen. Ich stamme aus einem kleinen Bergdorf in Vorarlberg und da gab es nur jede Stunde einen öffentlichen Bus und der letzte fuhr um 19 Uhr. Eigentlich ging es immer ziemlich schnell, dass ein Auto stehenblieb und mich mitnahm. Manchmal kannte man sich schon: „Du bisch vom Albert, odr?“ Hier muss ich dazusagen, dass jeder in der Gegend meinen Papa kennt, weil er ein Vorkämpfer für Ökologie und erneuerbare Energiequellen ist. Oder wenn man sich noch nicht kennt, kam die Frage: „Wem g’hörsch du?“ Und wenn ich dann meinen Nachnamen sagte, dann das Aha-Erlebnis: „Des hätt‘ i eigentlich wissa müassa. S’Gsicht wia dr Vater!“

Diese Geschichte habe ich euch erzählt, weil es bei uns allen so ist, dass wir neben den angeborenen Genen viele Verhaltensweisen von unseren Mamas und Papas übernehmen, sowohl bewusst als auch unbewusst. Hoffentlich behalten wir vor allem ihre guten Eigenschaften!

Das „Vater unser“ ist DAS Gebet der Christen, Jesus selber hat es uns beigebracht. Dieses Gebet beginnt mit „Vater unser“. An einer anderen Stelle in der Bibel verwendet Jesus das Wort „Abba“ für Gott im Himmel. Abba – Papa – ja mit dieser Vertrautheit, mit dieser Nähe, mit diesem offenen Herzen wie wir Mama und Papa sagen, dürfen wir mit Gott sprechen. Jedes Gebet, jedes Sprechen mit Gott vertieft unsere Beziehung mit ihm.

Das „Vater unser“ kennen wir alle auswendig und beten es oft. Es ist unsere Identitätskarte als Christen. In der Oberstufe hatte ich einen Mathelehrer, der für seine markigen Sprüche bekannt war. Er hat immer gesagt: „Diese Formel müsst ihr im Schlaf können! Wenn ich euch um 3 in der Früh aufwecke und ‚Sinussatz‘ sage, dann muss wie aus der Pistole geschossen ‚a durch Sinus Alpha ist b durch Sinus Beta ist c durch Sinus Gamma‘ kommen!“ So ähnlich ist es auch mit dem Vater unser. Es ist gut, dass wir dieses und andere Gebete auswendig können. Wobei ich dazusagen muss: Den Sinussatz habe ich nach der Matura nie mehr gebraucht!

Mama und Papa sind Vergleichsbilder aus dem menschlichen Alltag für den unsichtbaren Gott. Es ist ein guter Vergleich, der aber trotzdem nicht ganz stimmt. Gott ist nochmal viel größer als der beste Papa und die coolste Mama. Wie Kinder dürfen wir uns immer vertrauensvoll an Gott wenden.

Doch was antwortet Gott, wenn wir „Vater unser“ sagen? Ich habe vor wenigen Tagen auf Facebook einen schönen Text eines spanischen Priesters gefunden, den ich für euch übersetzt habe. Der Text ist betitelt mit „Vater unser – von der anderen Seite“. Es sind mögliche Worte, die Gott uns sagt, seinen Kindern auf Erden:

Mein Kind auf der Erde,
mach dein Leben zum
besten Spiegelbild meines Namens.
Trete ein in mein Reich,
mit jedem Schritt, den du tust,
mit jeder Entscheidung, die du triffst,
mit jeder deiner Zärtlichkeiten und Gesten.
Bau an diesem Reich, für mich und mit mir,
wie es mein Wille ist auf der Erde
und auch im Himmel.
Nimm das tägliche Brot, das uns gegeben ist
als Geschenk und Wunder.
Ich verzeihe dir deine Fehler, dein Fallen, deine Abbrüche.
Handle genauso mit der Gebrechlichkeit der anderen.
Kämpfe um den rechten Weg im Leben,
mit mir an deiner Seite.
Und hab keine Angst, denn das Böse hat
nie das letzte Wort in deinem Leben. Amen.
(P. José María Rodríguez Olaizola SJ)

Auf zwei Aussagen aus diesem „Vater unser – von der anderen Seite“ möchte ich näher eingehen. Es hieß:

(1) „Mach dein Leben zum besten Spiegelbild meines Namens“: In der Geschichte am Anfang hat der Autofahrer gesagt: „S’Gsicht wia dr Vater!“ Bei Jesus lernen wir, wie Gott ist. Wenn wir uns an Jesus orientieren, wenn wir Ihn immer besser kennenlernen – dann verändert das mein Leben. Mein Sein, mein Denken, mein Handeln wird dem Handeln Jesu ähnlicher. Ich werde dann immer mehr zum Spiegelbild Gottes.

Es ist nicht unsere Leistung, dass wir ihm ähnlicher werden, es ist seine Kraft. Wenn ich mich Gott öffne, dann beschenkt mich Gott! Mit unseren Freunden und Freundinnen ist es ja ganz ähnlich. Ich übernehme das Verhalten von anderen, mit denen ich viel Zeit verbringe. Darum ist es so wichtig, dass ich mir meine Freundschaften gut auswähle. Mit wem möchte ich viel Zeit verbringen? Von wem möchte ich lernen? Im Alltag heißt das für mich auch: What would Jesus do? Was würde Jesus tun?

(2) „Und hab keine Angst, denn das Böse hat nie das letzte Wort in deinem Leben“: Diesen letzten Satz finde ich ganz wichtig. Der Alltag von uns allen hat viele Auf und Abs und an manchen Tiefpunkten stelle ich alles in Frage und will alles hinschmeißen. Ja es kann sogar soweit kommen, dass ich aufgrund von Sorgen und Leid sogar mich selber oder Gott in Frage stelle.

Eine prägende Erfahrung dieser Art machte ich in Mexiko vor rund 12 Jahren. Das war direkt nach meiner Matura und ich ging als Volontär nach Mexiko und half in einem Don Bosco Jugendzentrum mit. Die ersten Wochen waren ziemlich schlimm, vor allem wegen meinem schlechten Spanisch und einigen schlimmen Burschen im Jugendzentrum. Da habe ich mich selber in Frage gestellt, wollte alles hinschmeißen und heimfliegen. Hätte ich das gemacht, würde ich vielleicht heute nicht hier stehen als Salesianer und als Priester.

Denn es war in diesem Jahr in Mexiko, mit allen Aufs und Abs, in dem ich die Nähe Gottes ganz besonders spüren durfte und ich in Don Bosco mein großes Vorbild gefunden habe. Mit der Sprache ging es wie durch ein Wunder schnell aufwärts. Und zu den schlimmen Burschen hat sich das Miteinander Stück für Stück gebessert, dank der Hilfe von lieben Menschen. In Mexiko habe ich den Ruf gespürt, ein Priester nach dem Vorbild Don Boscos zu sein. Ihn zeichnete besonders die Freude aus und, dass er auf die Situationen der Kinder und Jugendlichen mit den Augen Gottes geschaut hat, wie es Papst Franziskus bei der Vigilfeier des Weltjugendtags in Panama schön gesagt hat.

Ja, es gibt verschiedene Kräfte in der Welt und auch das Böse. Doch Gott gibt uns die Zusage: Das Böse hat nie das letzte Wort. Das letzte Wort habe ich, der gute Gott. Er ruft uns zu: Hab keine Angst!

Liebe Jugendliche, ich wünsche euch, dass ihr euch als Kinder Gottes fühlt, immer mehr zum Spiegelbild Gottes werdet und besonders in schwierigen Momenten Gott an eurer Seite spüren dürft. Seid fröhlich, denn Gott hat uns bereits erlöst. Schaut mit den Augen Gottes auf andere. Amen.

(Jugendvigil im Stift Heiligenkreuz am 1. Februar 2019, verwendete Stelle aus der Heiligen Schrift: Matthäus 6,7-13, Bild: Johannes Paul Chavanne)